All inclusive-Urlaub vom Patriarchat-Feminismus-Kolumne-THE DISTRIQT

BUSENGRAPSCHER UND BESCHIMPFUNGEN: SAME PROCEDURE AS EVERY SUMMER

Text: Mali-Janice Paede

Triggerwarnung: Sexualisierte Gewalt

Im folgenden Text werden sexualisierte Gewalttaten beschrieben. Diese Schilderungen können negative Reaktionen auslösen oder retraumatisieren. Solltest du von sexualisierter Gewalt betroffen sein, scheue dich nicht, dir Hilfe zu suchen. Unterstützung findest du z.B. unter weisser-ring.de

Es ist Sommer und damit die Zeit von Fragen wie: Wo liegt die nächste Eisdiele? Welchen Sonnenschutzfaktor brauche ich? Oder: Wem gehört mein Körper?

Bei Frage eins und zwei hilft das Internet. Frage drei scheint auf den ersten Blick unsinnig (“Äh mir?”), ist aber tatsächlich gar nicht nicht so leicht zu beantworten – zumindest aus soziologischer Sicht. Denn: Ja, es ist mein Gehirn, das ihn steuert. Aber da draußen sind unzählige Cis-Männer, die sich anmaßen, Anspruch auf meinen (und jeden anderen weiblich gelesenen) Körper stellen zu dürfen.

Dieser Zustand wird mir jedes Jahr im Sommer wieder schmerzlich bewusst. Nie spüre und sehe ich mehr von meinem Körper, nie ist er buchstäblich so entblößt, so präsent und zieht so viel (männliche) Aufmerksamkeit auf sich, wie in den warmen Wochen des Jahres. Und nie kämpfe ich so sehr um die alleinige Hoheit über ihn.

Mein Körper als männliches Allgemeingut

Das ganze Drama begann für mich in jenem Jahr, in dem meine Pubertät ihren Höhepunkt erreichte. Ich war 15 und hatte meinen ersten Kuss noch vor mir, als die ersten Männer versuchten, meinen Körper zu kapern. Sie hefteten im Supermarkt ihre Blicke auf meine erbsengroßen Brüsten und grabbelten in der U-Bahn an meinen Knien rum. War ich bis dahin von männlicher Aufmerksamkeit fast gänzlich verschont geblieben, gehörte es nun plötzlich zu meinem Alltag, vor Kommentaren und Grapschversuchen wegrennen zu müssen. Das Patriarchat hatte meinen Körper zum Allgemeingut der männlichen Bevölkerung erklärt.

Mit der Annektierung ging auch einher, dass manche Herren der Meinung waren, mir mitteilen zu müssen, dass ich nicht ihrem Geschmack entspreche. Einige Anekdoten aus den letzten Jahren: In einer Fußgängerzone rief mir ein Mann zu, ich sei echt dick. Excuse me? Ich war nie übergewichtig. Aber selbst wenn, wäre ich die einzige Person, die das etwas angeht. Ein anderes Mal, ich besichtigte mit meinem Vater ein Museum, stellte mir eine Jungsgruppe nach. Sie inspizierten mich eine halbe Ewigkeit, um dann lautstark zu urteilen: „Die ist mega hässlich!“. Jo, danke. Euch hat wer genau gefragt?

Sexualisierte Gewalt als patriarchaler Machtbeweis

Offensichtlich ruft meine Erscheinung in der Männerwelt äußerst unterschiedliche Reaktionen hervor. Doch am Ende fußen alle Übergriffe, egal ob sie als Anmache oder Beleidigung getarnt sind, auf der Idee, Männer hätten einen naturgegeben Anspruch auf Körper und Aufmerksamkeit weiblich gelesener Personen.

Woher diese Denkweise kommt? Schon in unserer Kindheit erleben wir, wie Frauen von Medien, Werbung und Showbusiness als dekorative Objekte statt als selbständige und denkende Menschen dargestellt werden. Uns wird beigebracht: Frauen sind verpflichtet, erstens zu gefallen und zweitens (sexuell) zur Verfügung zu stehen.

Wehe jenen Frauen, die sich ihrer Pflichterfüllung entziehen und als unabhängige Menschen auftreten – etwa indem sie einen Fick darauf geben, ob sie attraktiv auf Männer wirken. Oder indem sie gedanklich abwesend und dadurch unnahbar scheinen. Derartiges Verhalten verletzt manche Männer in ihrer Anspruchshaltung so sehr, dass sie zum Angriff übergehen. Sie drängen sich auf, catcallen, pfeifen, verhöhnen, lassen die “Ungehorsamen” leiden und stellen so die eigene Macht unter Beweis. Das ist kein harmloses Macho-Gehabe. Jeder dieser Übergriffe ist ein politischer Akt, in dem sich das Patriarchat manifestiert; und jeder dieser Übergriffe ist rohe Gewalt.


Wissen schützt vor Schmerz nicht

Als junge Frau war ich verstört von dieser neuen Realität voller sexualisierter Gewalt. Innerlich noch ein Kind, begriff ich nur schwer, wieso all diese Männer mich plötzlich bedrängten. Was ich aber schnell verstand: Je weniger Stoff ich trug und je mehr ich von meiner aufkeimenden Weiblichkeit zeigte, desto massiver wurde ich angegangen.

Diese Erkenntnis führte dazu, dass mir seit damals mulmig zumute wird, sobald die Thermometeranzeige über 20 Grad steigt und damit den Startschuss in die Shorts- und Trägertop-Saison gibt. Und das, obwohl ich mittlerweile weiß, was dahinter steckt, wenn Männer meine physischen und emotionalen Grenzen überschreiten. Ich erkenne die Strukturen und Mechanismen, die hinter dieser Art von Gewalt stecken. But u know what? Das ändert leider gar nichts.

Ich mag mit jedem Übergriff ein wenig mehr abstumpfen, doch all diese Blicke, Sprüche und Berührungen schmerzen noch immer. Sie verletzten weiterhin meine körperliche, sexuelle und psychischen Selbstbestimmung, indem sie mir die Chance nehmen, eigenständig zu entscheiden, wer mich anschauen darf, wer mich und meinen Körper bewertet und wem ich meine Aufmerksamkeit schenke.


Sei kein Arschloch, pls

Wie kann ich und wie kann jede andere weiblich gelesene Person diesen Angriffen entgehen? Tipps wie, wir sollen uns halt anders kleiden, anders benehmen, einfach anders sein, sind für die Tonne. Wer behauptet, wir seien dafür zuständig, Übergriffe zu verhindern, nimmt uns nicht nur in die Pflicht (reicht es nicht mal langsam mit den weiblichen Pflichten?!), sondern stärkt auch die Vorstellung, Männer seien unkontrollierbare Raubtiere, die halt gar nicht anders können.

Es ist nicht unsere Aufgabe, Übergriffe zu verhindern. Unsere Körper schwitzen genauso wie die von Männern. Ich persönlich habe keinen Bock, meine Haut unter tausend Lagen Kleidung zu verstecken, nur weil manche Herren an ihrem rückständigen Weltbild hängen. Ich will knappe Klamotten tragen, ohne (sexualisierte) Gewalt fürchten zu müssen. Und ich will nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn mir Gewalt widerfährt.

Was ich will ist, dass Männer sich nicht länger hinter ihren Privilegien verstecken können, sondern zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie Grenzen verletzen. Ich will, dass sie ihr Verhalten und ihre Gedanken reflektieren, um sich klar zu machen, dass Frauen mehr sind als Dienstobjekte. Ich will, dass schon kleine Jungs lernen, dass sie keinen Anspruch auf Frauenkörper haben – egal, was die Medien sagen. Und ich will, dass Männer ihre Freunde zur Rede stellen, wenn diese Frauen angehen. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns vor Männern zu schützen. Es ist die Aufgabe der Männer, keine Arschlöcher zu sein – und zwar zu jeder Jahreszeit.

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